buchhandlungspreis_2015-2023.png

0

Benjamin Quaderer: Für immer die Alpen

Folge 4 unserer Reihe von Buchempfehlungen von LeserIn zu LeserIn

Oje, pünktlich zur coronabedingten Schulschließung hielt ich das stolze 585 Seiten umfassende Debüt „Für immer die Alpen“ des jungen Liechtensteiner Autors Benjamin Quaderer in den Händen.
Wie sollte ich zwischen Homeschooling und Homeoffice noch Zeit für entspannte Lesestunden finden? Nach drei Seiten war klar – es muss gehen! Flugs die Kinder im hiesigen Buchladen mit Lesestoff versorgt (Lesen bildet!), den Autoresponder aktiviert und dann hineingetaucht in die Lebensgeschichte des Erzählers und Protagonisten Johann Kaiser.
Nach der vielversprechenden Prophezeiung der Hebamme zur Geburt des Helden: "Johann wird ein sparsamer Mensch sein, der durch harte Arbeit zu viel Geld kommen wird“, wird dieser Johann allerdings zunächst gemeinsam mit seinen Zwillingsschwestern vom trinkenden Vater in ein Liechtensteiner Waisenhaus abgeschoben. Die spanische Mamà, einstmals dem Vater ins kleine Fürstentum gefolgt, ist verschwunden.
Im Waisenhaus wird Johann seelisch gequält, einzig Fürstin Gloria findet Gefallen an ihm. Nach den unwahrscheinlichen und in ihren Übertreibungen auch unglaublich amüsanten Schilderungen der Kindheit des Jungen, nimmt der Roman an Fahrt auf.
Johann klaut seinem besten und bislang einzigen Freund das Moped und landet schließlich, immer auf der Suche nach seiner Mutter, in Barcelona. Dort erschwindelt er sich als vermeintlicher Sohn und Erbe der Bohrmaschinendynastie Hilti einen Platz in einem Eliteinternat und wird Teil der illustren High Society. Insbesondere zur Familie Tobler baut er eine intensive Beziehung auf, diese lohnt es ihm mit einem Betrugsversuch, den Johann geschickt kontert.
Die Ereignisse überschlagen sich, eine Einladung der Toblers auf eine argentinische Hazienda entpuppt sich als Falle, ein Trauma, das den weiteren Fortgang in Johanns Leben entscheidet. Die Qualen Johanns während der tagelangen Folter erlebt die Leserin durch seitenlange, fast leere Seiten beinahe körperlich mit.
Daraufhin erfolgt der Bruch in Johanns Leben. Er kehrt zurück nach Liechtenstein. Als Treuhänder der fürstlichen Stiftungsbank ist er zuständig für die Digitalisierung und anschließende Vernichtung der sensiblen Kundendaten. Getrieben von seinen allumfassenden Rachegedanken, entwendet er die Daten, erpresst Fürst Hans-Adam und verkauft sie schließlich an den BND. So endet Johann Kaiser in der Anonymität eines Zeugenschutzprogrammes.
Benjamin Quaderer arbeitet in seinem Roman mit ungewöhnlichen Methoden. Von Textschwärzungen bis hin zur völligen Unmöglichkeit, das Geschriebene nachzuvollziehen. Wesentliche Erzählinhalte werden einfach in die Fußnoten verbannt, die wiederum zum Teil geschwärzt sind. Die Beobachtungen eines Kriminalpsychologen werden auf der linken Buchseite den Empfindungen Johanns gegenübergestellt.
Der Roman ist wild, voll von Handlungssträngen und Ausschweifungen, teilweise absurd und anstrengend. Vielleicht hat der Autor damit genau das richtige literarische Instrument gefunden, die Monstrosität des internationalen Finanzmarktes zu schildern.
Ein absolutes Muss für alle, die Spaß an außergewöhnlichen Leseerlebnissen haben, brav ihre Steuern zahlen oder einfach nur mehr über das kleine Fürstentum Liechtenstein erfahren wollen.

Eine Empfehlung von Marion Schmieder, die sich nicht nur um ihre zwei Kinder, sondern auch um die korrekten Abrechnungen in einem großen Stuttgarter Krankenhaus kümmert, und obendrein Intensiv-Leserin ist.

Roman
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783630876139
22,00 €inkl. MwSt.

Botnanger Buchladen Newsletter

Bleiben Sie mit unserem Newsletter auf dem Laufenden!


Mit * gekennzeichnete Felder sind auszufüllen.

Unsere Datenschutzerklärung können Sie hier abrufen.